Klangforum Wien, January 2023

Eine Musik, die richtig tickt

Konzerthaus. Jubel für den Auftakt zum Ligeti-Jahr 2023 mit dem Klangforum Wien. Es dirigierte, präzise und anfeuernd, Elena Schwarz.

Walter Widringer, Die Presse, 16.01.2023

Zuerst vernimmt man dichtes Geknatter. Später, wenn sich das Geschehen etwas ausgedünnt hat, gaukelt einem das Gehör merkwürdige rhythmische Muster vor: Sie verlieren sich gleich wieder, um verwandelt erneut aufzublitzen. Zuletzt wird es eine Art Wettrennen: Ein dreifaches Ticken war es diesmal im aufregenden Finish, zwei davon in sehr ähnlichem Takt. Sie verstummten nahezu gleichzeitig, konnten zwar ihre Bewegung noch ausführen, nicht aber ihr lautes Pulsieren. Da war also nur noch eines übrig – um schließlich doch auch stehen zu bleiben.

“Poeme symphonique” lautet der ironische Titel, den György Ligeti 1962 diesem Werk für 100 Metronome gegeben hat, das natürlich weit mehr ist als ein Scherz: ein berühmtes Beispiel für Maschinenmusik, eine Komposition der radikalen Beschränkung auf den Rhythmus und seine Effekte unter klar definierter Beteiligung des Zufalls. Interessant, dass diese “Symphonische Dichtung” immer wieder szenische Zutaten herausfordert, wohl deshalb, weil es menschliche Interpreten so grundlegend ausschließt: Die stören zwar eher, waren aber bei den Mitgliedern des Klangforums Wien, die an fünf Metronomtischen zunächst so etwas wie eine Schachpartie simulierten, immerhin bald vorbei. Interessant auch, wie das Publikum Konzerthaus zunächst noch etwas belustigt reagierte, um dann doch von der Spannung erfasst zu werden, die diese (musiklose?) Musik entfaltet.

2023 wäre György Ligeti 100 Jahre alt geworden: Die Wiener Konzerthausgesellschaft feiert sein Ehrenmitglied erfreulicherweise mit einem großen Programmschwerpunkt. Den Auftakt machte am Freitag das Klangforum unter der so präzisen wie anfeuemden Leitung der schweizerisch-australischen Dirigentin Elena Schwarz. Schön, wie in Ligetis Kammerkonzert das Tongeprassel der Metronome verwandelt wiederkehrt, wie die Musik in vier Sätzen einmal kräht und zuckt, einmal prickelt und gackert, wie sich Melodiegesten aufschwingen, um dann zu verlöschen. Dabei beweist Ligeti immer eine erzählerische Qualität, selbst wenn es keinerlei programmatischen Inhalt gibt.
Auch die gebürtige Koreanerin Unsuk Chin, einst Studentin Ligetis, fesselte mit ihrem Werk “Xi”, obwohl es ganz abstrakt er-
sonnen ist: Instrumente kitzeln aus elektronischen Geräuschwolken Klänge heraus, die famose Entwicklungen nehmen. Und Koloratursopranistin Daisy Press gab in Claude Viviers “Bouchara” die (etwas zu zarte) Zeremonienmeisterin einer faszinierenden Begegnung mit einer fiktiven fremden Kultur, um im Satyrspiel des Abends dann voll abzuräumen – Ligetis grotesk-komischen, exaltiert-virtuosen “Mysteries of the Macabre”.

 

100 Metronomen ticken und rattern

⭐⭐⭐⭐⭐

Kronen Zeitung, 17.01.2023

Er war der Großmeister der Neuen Musik: György Ligeti, der im Mai 100 Jahre alt geworden wäre. Das Konzerthaus schenkt
seinem Publikum ein Riesenpaket mit Ligeti-Konzerten. Start mit dem bestens disponierten Klangforum Wien unter der hervorragenden Elena Schwarz.
Man erlebt Ligetis frühe Elektronik, etwa “Artikulation” (mit einer projizierten Hörpartitur gekoppelt!), und das wunderbare “Kammerkonzert für 13 Instrumentalsten”: eine magische, ultrafein aufgelöste Klangwelt, aber voll harter Kontraste, nervösem Flimmern. Nicht fehlen darf das “Poeme symphonique” für 100 Metronome, die gleichzeitig in unterschiedlichen Tempi vor sich hin ticken. Faszinierend: Im Durcheinander bilden sich durch Zufall ständig neue Strukturen und Rhythmen.
Grandioser Abschluss sind die “Mysteries of the Macabre”, drei Arien aus Ligetis Oper “Le Grand Macabre”: wilde, sprunghafte Musik, ein grelles Kaleidoskop von Koloraturen, hervorragend von der Sopranistin Daisy Press gebracht.
Zwischen Ligetis Werken hörte man Stücke von Claude Vivier und Unsuk Chin. Welche Brillanz!

 

Klangforum im Konzerthaus mit Werken von Ligeti und Chin

Der Standard, 17.01.2023

Wien – Aus der Corona-Epoche datiert beim Klangforum die fleißige Eigenheit, zwei Konzerte hintereinander zu geben. Damals durfte ein Saal nur halbvoll sein. Für die Zeit zwischen den beiden Konzerten erfand man aber die Fermate. So nennt man in der Notendarstellung ein Ruhezeichen, bei dem ein Punkt unter einer Parabel den Musizierenden anzeigt, dass sie an dieser Stelle freier gestalten können. Wer im Konzerthaus nach dem ersten “Gig” also blieb, bekam eine Zugabe – aktuell ein Maschinenwerk.
Zum Auftakt des Jubiläumsjahres anlässlich des 100. Geburtstags von Komponist György Ligeti brachten Musiker und Musikerinnen des Klangforums nämlich 100 Metronome in Bewegung, wie es Ligetis Poème symphonique vorschreibt. Bis auch das letzte Metronom verstummte und mit Applaus bedacht wurde, hörte man eine klirrende, komplexe rhythmische Struktur, die ihre Zufälligkeiten aufwies. Das Werk stammt aus jener Phase, als Ligeti mit der Fluxusbewegung kokettierte. Nach wie vor ein reizvoll ironisches Stück.

Das Konzert aus dem Zyklus Bruch. Punkt berückte aber auch in Menschengestalt: Bei Ligetis Kammerkonzert für 13 Instrumentalisten faszinierte, wie konzis das Klangforum unter der Leitung von Elena Schwarz diese murmelnden Linien, die hineinrempelnden Blöcke, die maschinellen Momente und finalen solistischen Zuspitzungen umsetzte. Nach Unsuk Chins dichtem Werk Xi, das sich wellenartig ausbreitete, dann ein Moment der Exaltation. Ligetis Mysteries of the Macabr, Arien aus Le Grand Macabre (Bearbeitung Eigar Howarth) boten Daisy Press die Chance, in die Rolle der koloraturverliebten Diva
zu schlüpfen. Glanzvoll.